Ursprünglich auf Spanisch veröffentlicht. Daniel Gascón. Letras Libres.
Die katalanische Regierung hat die demokratische Legalität angegriffen und die spanische Regierung ist diejenige, die sie gerade verteidigt.
In der Septemberausgabe der Zeitschrift Letras Libres erklärt Miguel Aguilar ein Missverständnis in der katalanischen Sache. Auf der einen Seite, argumentiert er, ist die Frage der Finanzierung und der Eingliederung Kataloniens in Spanien. Auf der anderen Seite ist das illegale Wagnis, das die katalanische Regierung unternommen hat. Diese illegale Irrfahrt hat den Eingriff der Justiz hervorgerufen. Man darf über den Zeitpunkt oder die Geschicklichkeit der Regierung in diesen Jahren diskutieren, aber es scheint nicht, dass der Fehler in der Übertreibung oder in der Pyrotechnik gelegen hat. Die beste Art, die Autorität beizubehalten, ist sie nicht ausüben zu müssen. Und die Abneigung des Staates vor der Gewaltanwendung spricht für unsere Gesellschaften. Trotzdem muss der Staat die Bürgerrechte und die demokratische Legalität mit Vorsicht, Standfestigkeit und der genauesten Beachtung des Gesetzes in Schutz nehmen.
Dieses illegale Wagnis, das man nicht auf das suspendierte Referendum reduzieren sollte, ist ein postmoderner Putsch. Unter einer zwischen Kitsch und Cool anmutenden Lackierung ist eine nationalpopulistische Bewegung aufgetreten, die sich einiger Begriffe erfolgreich bedient hat. Unter ihnen befindet sich das Syntagma des “Derecho a decidir” (das Recht, zu entscheiden) als ein Euphemismus für Selbstbestimmung, die Verwechslung zwischen Stimmabgabe und Demokratie, das Prestige der Rebellion gegen das Establishment (selbstverständlich, wie im Falle des Brexits, ist derjenige, der die Rebellion gegen das Establishment inszeniert hat, auch ein Establishment, aber das ist unwichtig), die sonderbare Idee, dass eine Demokratie zu einer Autokratie wird, wenn die eigene Seite nicht gewinnt. Und, wie Fernando Vallespín schon geschrieben hat, man hat eine Möglichkeit dazu geschaffen, dass jeder seine eigene Utopie in die Unabhängigkeit hineinprojizieren kann, indem man den Teil der Wirklichkeit wegnimmt, der einem am wenigsten gefällt, und die Sache fördert, die einem am teuersten ist.
Für manche war alles ein Protest gegen die Austeritätspolitik, obwohl die Förderer des “Procés” (der Begriff für den Unabhängigkeitsprozess Kataloniens) die ersten waren, die Austeritätsmaßnahmen durchführten. Es war auch eine Linksbewegung, obwohl sie sich in Form eines Bündnisses zwischen Konservativen, Kommunisten und einer basisdemokratischen Partei darstellte und obwohl es eine Bewegung gegen die Umverteilung war, bei der die Reichen vorhaben, die Armen loszuwerden. Es war auch eine Art, sich mehr in Europa zu integrieren, obwohl die EU sagte, dass ein hypothetisches unabhängiges Katalonien sich außerhalb der EU befinden würde. Es war ein Protest gegen die Korruption, obwohl die Nationalisten in Katalonien mehrere korrupten Klientelnetze etabliert hatten. Es war auch der einzige Ausweg vor der Unfähigkeit Spaniens, sich zu reformieren, obwohl auch die katalanischen Parteien mitverantwortlich waren. Es war eine Bewegung für Bürgerrechte, obwohl das einzige angestrebte Recht war, die Anderen ihrer Staatsangehörigkeit berauben zu dürfen. Schließlich war es ein begeisternder demokratischer Wurf, obwohl Büros der Parteien gegen die Unabhängigkeit gestürmt wurden, Journalisten von Beamtern der Generalitat angegriffen wurden, das “Ley de transitoriedad” (Übergangsgesetz) die Gewaltenteilung zerbrach, die Opposition im Parlament zerquetscht wurde und die politischen Kräfte für die Unabhängigkeit sagten, dass auf jeden, der die falschen Ideen hat, gezeigt werden sollte.
Man hatte den Eindruck, alles war eine Art Absichtserklärung, eine expressive Sache. Die Taktik war, dass die Grenzüberschreitung irgendwann vom Staat offensichtlich ernst genommen und eine Antwort hervorrufen würde. Die Unabhängigkeitskämpfer dachten, dass diese Antwort sich als etwas Unverhältnismäßiges darstellen würde. Etwas, das denjenigen, die den Rechtsstaat angegriffen hatten, erlauben würde, sich als Märtyrer zu präsentieren. (Das Bild einer Festnahme ist begreiflicher und reproduzierbarer als etwas Abstraktes wie das Zertreten der politischen Rechte der Bürger.)
Der Sezessionismus hat gegen einen erfundenen Feind gekämpft: Ein autoritäres, undemokratisches Spanien. Ein Staat, wo Katalonien kein hohes Autonomieniveau hätte. Ein Spanien, das mit den anderen weiterentwickelten Demokratien nicht zu vergleichen sei. In einem Moment, der dem Drehbuchautoren von Saturday Night Live zum Lachen gebracht hätte, sagte Gabriel Rufian, dass der 1. Oktober der Tod Francos wäre. Dieses erfundene Land ist ein raues, unterentwickeltes Spanien (bzw. ein Madrid im Grunde genommen, mit Kastilien und irgendeinem Feld, wo man pinkeln und tanken kann), und trotzdem gleichzeitig machiavellistisch und unversöhnlich. Diese folkloristische Vorstellung Spaniens passt zu einer Auffassung, die ein großer Teil der internationalen Presse noch teilt: Eine exotische Idee eines unterentwickelten Landes, die einen auf den Gedanken bringt, dass einige Leitartikler und Korrespondenten noch in der Zeit Hemingways stehengeblieben sind; eine Idee, aber, die nicht so gut zu verkaufen wäre, wenn wir selbst sie nicht geglaubt und gefördert hätten.
Dieses Spanienbild ist es, das sie wiederbeleben wollten. Dieses Bild ist falsch und wir müssen dagegen ankämpfen. Es ist ein von dem Bürgerkrieg geerbter Bezugsrahmen, aber der Parallelismus, der den von der Franco-Ära geerbten Staat als Zerstörer der Demokratie darstellt, ist falsch gezogen. Obwohl es große Unterschiede gibt, ist in diesem Fall die katalanische Regierung diejenige, die die demokratische Legalität angegriffen hat, und der spanische Staat derjenige, der sie verteidigt. Und auf diese Weise verteidigt Spanien erst die Rechte der Katalanen.
Wie die Verteidiger des Brexits, haben die Befürworter der Sezession systematisch auf Lügen zurückgegriffen und auch Versprechen abgegeben, von denen sie wissen, dass sie falsch sind. El Pais entzaubert heute die trügerische Erzählung Puigdemonts über das Vorgehen der Guardia Civil (Spanische staatliche Polizeieinheit). Artur Mas prahlte mit einer Strategie, die aus dem Betrug am Staat bestand. Aber das bringt mit sich, dass man nicht nur die Katalanen betrügt, die gegen die Unabhängigkeit, sondern auch diejenige, die für die Sezession sind. Man lügt diese Menschen an, wenn man über einen autoritäreren Staat spricht, über politische Häftlinge, über eine demokratische Bewegung, über die Abschaffung der Meinungsfreiheit. Und es ist sogar möglich, dass manche, die diese Lügen verbreiten, denken, wie die besten aller Lügner, dass sie wahr sind. Gelegentlich schaffen sie es, diese Sprache denjenigen aufzudrängen, die anders denken: wir sprechen über “Katalanen”, als ob die Katalanen, die gegen die Unabhängigkeit sind, keine Katalanen wären, und wir sprechen über “Unionisten”, als ob beide Möglichkeiten symmetrisch wären. Die Verzerrung der Sprache zeigt, dass wenn die Zeit kommt, um Lösungen zu finden, wir nicht nur gesunden Menschenverstand, Achtung vor dem Gesetz und den Minoritäten, Ehrlichkeit und politische Intelligenz brauchen werden, sondern auch Wörterbücher, die uns daran erinnern, was die Wörter in Wirklichkeit bedeuten.