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Ursprünglich auf Spanisch veröffentlicht: “Reflejos atávicos”. Manuel Arias Maldonado. El Mundo.
19 Mai 2018
In einem durchaus schockierenden Profil des neuen Präsidenten von Katalonien hat der deutsche Journalist Thomas Urban einen wertvollen Beitrag zur begrifflichen Aufklärung geleistet. Wie man auf den Seiten der Süddeutschen Zeitung lesen kann, soll “Torras angeblicher katalanischer Chauvinismus” keine weiteren Grundlagen als wenige aus dem Kontext gerissenen Tweets haben. Und diese seien sogar gelöscht worden! In der Tat behauptet Urban, dass die Karriere des Mannes, der gestern ohne jegliche Bezugnahme zur spanischen Verfassung sein Amt eingeschworen wurde, der eines Mannes entspricht, der “kein Linker, kein Rechter, sondern vor allem Katalane” sei.
Aus dieser außergewöhnlichen Erklärung ließe sich ableiten, dass es nur eine einzige Art des katalanischen Seins gebe. Oder, dass die einzig wahren Katalanen diejenigen seien, welche ihre Identität über ihr Bürgertum stellen. Denn genau darum geht es: Zu behaupten, dass nur die Ethnie bzw. die Kultur verstanden als Segregation der Ethnie als legitime Grundlage politischer Gemeinschaft fungieren kann. In der Tat ist es eben dieses alte Prinzip romantischer Provenienz, das die katalanische Unabhängigkeitsbewegung von Anfang an vorangetrieben hat. Möglicherweise wurde das nicht von denjenigen bemerkt, die die Unabhängigkeitsbewegung mittels exotisierender Argumente verteidigt haben, etwa vom Aufbau eines Dänemark-sur-mer bis zur Fortsetzung des anti-franquistischen Kampfes. Die Präsidentschaft Torras hat nun schlicht das Implizite explizit gemacht: der postmoderne Anschlag auf die spanische Demokratie begegnet seinem prämodernen Moment. Oder, mit Carl Schmitt – er wird zum existenziellen Konflikt zwischen Freunden und Feinden herabgesetzt.
Dies folgt einer klaren Logik. Angesichts einer mangelnden ausreichenden Mehrheit besteht die einfachste Lösung, um die Unabhängigkeit zu erreichen, aus der Neuerfindung des Demos, indem ausschließlich die Mitglieder der organischen katalanischen Gemeinde vorgesehen sind. So wird die äußere Grenze zu Spanien auch als Grenze innerhalb Kataloniens gezogen. Nosaltres Sols*: Auf der einen Seite die authentischen Katalanen; auf der anderen die Spanier. Es handelt sich um eine gefährliche und tribalistische Strömung, wie jeder erkennen kann, der jemals die schwarze Sonne der Geschichte betrachtet hat, denn es droht einen potenziell irreparablen bürgerlichen Konflikt auszulösen.
Aber bedeutet Torra auch eine Chance? Denn wenn der Ton eines von Suprematismus geprägte Narzissmus, der reichlich die Texte des neuen katalanischen Präsident prägt, einen Teil der Unabhängigkeitsbewegung herabsetzt, dann darf man es jetzt auch öffentlich sagen. In dieser Geschichte gibt es leider nicht viele narrativen Wendungen, die für die Rückführung der laufenden emotionalen Strömungen von Nutzen sein können: Lassen wir uns die Chance jetzt entgehen, dann können wir nicht anfangen zu reparieren, was zerbrochen ist. Bedauerlicherweise ist der Schaden nicht gering.
*Nosaltres Sols war eine faschistische Organisation um 1930, die an die Überlegenheit der katalanischen Rasse über die spanische glaubte. 2014 verfasste Torra einen Artikel, der den Gründer dieser Organisation lobt.